Neue Philharmonie München September 2017
29.09.2017
20:00 Uhr
Loisachhalle, Wolfratshausen
29.09.2017
20:00 Uhr
Loisachhalle, Wolfratshausen

Programm

Ouvertüre zu "Ruslan und Ludmila"
Michail Iwanowtisch Glinka
Ouvertüre zu "Ruslan und Ludmila"
Michail Iwanowtisch Glinka

Dem 1804 geborenen Michail Glinka wurde es wahrlich nicht an der Wiege gesungen, dass er einst als Vater der russischen Musik in die Geschichte eingehen, ja dass er überhaupt Musiker werden würde. Er war der Sohn eines Offiziers und wuchs die ersten sechs Lebensjahre in einem Dorf bei seiner Großmutter auf, die den Jungen jahraus, jahrein in einem kleinen Zimmer einsperrte bei ständig 25° C Raumtemperatur. Die einzigen musikalischen Erfahrungen, die der kleine Michail da machen konnte, waren die Lieder seines Kindermädchens und die traditionellen Chorgesänge der Bauern draußen auf den Feldern; hinzu kamen die Töne der überlauten Kirchenglocken. Es waren dies Eindrücke, die er nie vergessen sollte. Bei allen anderen russischen Komponisten des frühen 19. Jahrhunderts bestimmte die westliche Kunstmusik die eigene Entwicklung; Begegnungen mit russischer Volksmusik fanden nicht statt oder wurden schnell beiseite gewischt. Nicht so bei Glinka.

Nach dem Tod der Großmutter kam der Junge in die Obhut eines Onkels, der ein Orchester dirigierte und den Jungen erstmals mit Haydn, Mozart und Beethoven vertraut machte. Später besuchte Glinka die Adelsschule in St. Petersburg, wo er neben Sprachen und Naturwissenschaften auch Musik lernte und erste Kompositionsversuche unternahm. Bald schon machte sich in diesen Werken ein eigener Ton bemerkbar: der junge Musiker versuchte, die spezifisch russischen Klänge seiner Kindheitserfahrungen mit den Prinzipien der Kunstmusik zu verbinden. Doch eine Karriere als hauptberuflicher Komponist kam für einen Offizierssohn schon aus Standesgründen nicht in Frage; Glinka wurde Diplomat.

Das überheizte Zimmer bei der Großmutter hatte zur Folge, dass Glinkas Immunsystem unzureichend entwickelt war, so dass er immer wieder kränkelte. Im Jahr 1830 ging er auf Rat eines Arztes nach Italien. In Mailand traf er berühmte Musiker wie Felix Mendelssohn Bartholdy und Hector Berlioz und nahm Unterricht am Konservatorium. Hier entwickelte er die Idee, für die russische Musik das zu leisten, was Donizetti und Bellini für die Italienische getan hatten. Der Aufenthalt in Italien erstreckte sich über drei Jahre, gefolgt von einer mehrmonatigen Station in Berlin mit weiteren Kompositionsstudien. Erst die Nachricht vom Tode seines Vaters veranlasste Glinka zur Rückkehr nach Russland.

In dieser Zeit begann er die Komposition der ersten seiner beiden Opern: Ivan Sussanin, später unter dem Titel Ein Leben für den Zaren bekannt geworden. Die Geschichte handelt von einem russischen Bauern, der 1612 eine Bande marodierender polnischer Soldaten, die hinter dem Zaren her waren, so tief in die dichten Wälder führte, dass sie nie wieder herausfanden. Das Opernthema gefiel dem aktuellen Zaren Nikolai I., der regen Anteil an der Entstehung des Werks nahm und auch die Titeländerung anregte. Am 9. Dezember 1836 ging die Oper in St. Petersburg mit triumphalem Erfolg über die Bühne und machte den Namen Glinka in ganz Russland bekannt. Ein Leben für den Zaren war die erste Oper in russischer Sprache, und die Uraufführung gilt als die Geburtsstunde der russischen Musik.

Sogleich machte sich der Komponist an eine zweite Oper, Ruslan und Ludmila nach einem Versepos von Alexander Puschkin. Diesmal zog sich die Entstehung sowohl des Texts als auch der Musik über mehrere Jahre hin. Eigentlich wollte Puschkin selbst sein Epos zu einem Opernlibretto umformen, doch kam der Dichter schon Anfang 1837 bei einem Duell ums Leben. Hartnäckig hält sich das Gerücht, der unbedeutende Literat Konstantin Bachturin habe in betrunkenem Zustand innerhalb einer Viertelstunde die Handlung entworfen. Kaum glaubhaft, denn wieso hätten sich die späteren Librettisten sklavisch an die wirren Aufzeichnungen eines Betrunkenen halten sollen? Es war wohl eher die Vielzahl der beteiligten Autoren, die sich ungünstig auf die Geschlossenheit des Librettos auswirkte. Auch dem Komponisten ging die Musik nicht leicht von der Hand.

Als Ruslan und Ludmila schließlich auf den Tag genau sechs Jahre nach Ein Leben für den Zaren, also am 9. Dezember 1842, uraufgeführt wurde, hatten die Zuhörer eine Art Fortsetzung der früheren Erfolgsoper erhofft und wussten mit der konfusen Zauber- und Entführungsgeschichte nichts rechtes anzufangen. Die neue Oper fiel nicht gerade durch, aber sie wurde, zu Glinkas maßloser Enttäuschung, sehr kühl aufgenommen. Sicher lag das zu einem nicht geringen Teil an der verworrenen Handlung, die auch heute noch die Oper gegenüber Ein Leben für den Zaren in den Hintergrund rückt. Und so ist es bei aller Qualität der Gesangsnummern vor allem die Ouvertüre, die die Zeiten überdauert hat.

Die Ouvertüre ist ein knapp gefasster, schwungvoll dahinstürmender freier Sonatensatz in D-Dur; risolutissimo steht als Vortragsanweisung in den Streicherstimmen. Nach wenigen Einleitungstakten stellen die Violinen, Bratschen und Flöten das Hauptthema vor, und es ist nicht schwer, hierin ein Porträt des Helden Ruslan zu erkennen. Das melodische, eingängige Seitenthema wird in F-Dur von den Celli, Bratschen und Fagotten eingeführt und stellt Prinzessin Ludmila dar, deren Hauptaufgabe in der Oper darin besteht, mehrfach entführt und gerettet zu werden. Die Durchführung verarbeitet Motive aus beiden Themen, und in der Reprise steht das Hauptthema wieder in D-Dur, das Seitenthema aber entgegen der Sonatenregel in A-Dur. Bald jedoch ist die Grundtonart wieder erreicht, und kurz vor der Schlussstretta spielen die tiefen Streicher- und Bläserstimmen ein markantes Motiv, das mit einer Ganztonleiter abwärts über eine volle Oktave beginnt. Die absteigende Ganztonleiter wird im weiteren Verlauf der Oper mit dem bösen Zauberer Tschernomor in Verbindung gebracht und ist noch heute unter russischen Musikern unter dem Namen Tschernomor-Tonleiter bekannt.

Michail Glinka hat die Enttäuschung über den geringen Erfolg von Ruslan und Ludmila lange nicht verwunden. Er komponierte zwar weiterhin eifrig - hauptsächlich Orchester-, Chor- und Klavierwerke -, aber von der Oper hatte er zunächst einmal genug. Und der Meister ging wieder auf Reisen: in Frankreich und Spanien suchte und fand er neue Anregungen für seine Musik. Hector Berlioz schrieb einen wohlwollen den Aufsatz über Glinka in seiner Musikzeitschrift und dirigierte einige Glinka-Werke in öffentlichen Konzerten in Paris. Allmählich stieg der Ruhm des Komponisten auch im westlichen Ausland. Und 1856 nahm er endlich wieder eine Oper in Angriff: Der Bigamist oder Die Wolgaräuber sollte sie heißen. Leider gelangte Glinka nicht über einige Skizzen hinaus, denn Ende des Jahres zog er sich in Berlin eine Erkältung zu, an der er am 15. Februar 1857 mit nur 52 Jahren verstarb. Das überheizte Zimmer bei der Großmutter hatte seinen späten Tribut gefordert.

Klavierkonzert Nr.2 c-moll op. 18
Sergei Wassiljewitsch Rachmaninov
Klavierkonzert Nr.2 c-moll op. 18
Sergei Wassiljewitsch Rachmaninov

Es gibt wohl nicht viele namhafte Komponisten, deren Opus 1 ein Klavierkonzert ist. Für Sergei Rachmaninov aber, den großen komponierenden Virtuosen, erscheint gerade ein solcher Beginn des offiziellen Werkkatalogs mehr als angemessen. In fis-Moll steht dieser Erstling, und Rachmaninow begann mit der Komposition, als er noch keine 18 Jahre alt war. Später sollten noch drei weitere Klavierkonzerte in c-Moll, d-Moll und g-Moll folgen. Der Meister hatte eine ausgeprägte Vorliebe für Moll: auch die drei Sinfonien, die beiden Klaviersonaten, die beiden Klaviertrios und die meisten anderen Hauptwerke stehen in Moll-Tonarten. Dies scheint für eine pessimistische, ja depressive Grundhaltung des Komponisten zu sprechen, und in der Tat war Rachmaninovs Schaffen immer wieder durch schwere, existenzielle Krisen und Blockaden unterbrochen.

Auch das zweite Klavierkonzert ist aus einer solchen Krise erwachsen. Am 28. März 1897 war in St. Petersburg Rachmaninovs erste Symphonie uraufgeführt worden, unter katastrophalen Bedingungen. Das Werk war viel zu wenig geprobt, und der Dirigent, Alexander Glasunov, verwirrte mit seinen Zeichen das Orchester mehr, als ihm zu helfen; angeblich war er alkoholisiert aufs Podium gestiegen. Das Ergebnis war eine verzerrte Wiedergabe voll falscher Noten, die beim Publikum ebenso wie bei der Kritik gnadenlos durchfiel. Der Musikkritiker César Cui, ein ehemaliges Mitglied der Gruppe der Fünf, sprach gar von einer Programmsymphonie über die sieben ägyptischen Plagen.

Für Rachmaninov, der ja noch kein etablierter Komponist war, bedeutete der Durchfall der Symphonie eine persönliche Niederlage, die in nagende Selbstzweifel mündete. Zwei Besuche beim großen Dichter Leo Tolstoi hätten den jungen Komponisten eigentlich aufmuntern sollen, hatten aber den gegenteiligen Effekt. Tolstoi erging sich in Selbstmitleid, verfluchte die Mühen des Daseins, und für Rachmaninovs Musik hatte er nur die Frage übrig, wem solche Klänge denn nützen sollen. Nicht gerade die richtigen Worte, die Rachmaninov jetzt gebraucht hätte.

In dieser Situation fand der Komponist Hilfe bei dem renommierten Neurologen Dr. Nikolai Dahl, der selbst ein großer Musikliebhaber und darüber hinaus ein Freund der Familie war. Dahl behandelte Rachmaninov mittels Hypnose, einem damals hochmodernen Therapieverfahren. Während der Komponist im hypnotischen Halbschlaf im Behandlungszimmer lag, wiederholte der Arzt immer wieder die gleichen Worte: „Du wirst dein Konzert schreiben... Du wirst mit großer Leichtigkeit arbeiten... Das Konzert wird von exzellenter Qualität sein.” Die Behandlung hatte Erfolg: Rachmaninov fand allmählich seine Schaffenskraft wieder und begann mit der Komposition seines zweiten Klavierkonzerts, das er voller Dankbarkeit seinem Arzt widmete. Bei späteren Aufführungen des Werks wirkte Dahl manchmal als Bratscher im Orchester mit und erhielt Sonderapplaus, wenn seine Identität enthüllt wurde.

Zunächst entstanden der zweite und der dritte Satz des Konzerts; am 2.Dezember 1900 fand in Moskau die Uraufführung dieser beiden Sätze statt. Rachmaninov selbst saß am Klavier, und sein älterer Cousin, der Dirigent und Pianist Alexander Siloti (1863-1945), leitete das Orchester, Trotz des fehlenden Kopfsatzes äußerte sich die Kritik recht wohlwollend. Im Verlauf des Jahres 1901 fügte Rachmaninov den ersten Satz hinzu, und am 9. November 1901 erklang erstmals das gesamte Werk, wieder in Moskau, mit dem Komponisten am Klavier und Siloti am Pult. Das Konzert verbreitete sich rasch in der musikliebenden Welt und zählt bis heute zu den populärsten Klavierkonzerten überhaupt.

Wüsste man nicht, dass der Kopfsatz Moderato zuletzt entstanden ist, man würde die ersten Takte für den Ureinfall, für die Keimzelle des ganzen Werkes halten. Die glockenartig anschwellenden Klavierakkorde, die sich daraus hervorschälende schwermütige Streichermelodie – das ist ein großer, ein denkwürdiger Beginn, vergleichbar nur dem Anfang von Tschaikowskis b-Moll-Konzert. Doch während Tschaikowskis berühmtes Thema nur die Funktion einer langsamen Einleitung hat und im weiteren Verlauf des Werks niemals wiederkehrt, ist die elegische Melodie bei Rachmaninov wirklich das Hauptthema des ersten Satzes. Später tritt noch ein zweites, ebenfalls wehmütiges Thema hinzu, das vom Klavier vorgestellt wird. Einen echten Themenkontrast gibt es nicht. Der Satz folgt der Sonatensatzform und geht ohne Kadenz zu Ende.

Das nachfolgende Adagio sostenuto beginnt mit einer Modulation von c-Moll, der Tonart des Kopfsatzes, nach E-Dur. In dieser neuen Tonart spielt das Klavier eine ruhige Begleitfigur, und die Flöte präsentiert das Hauptthema. Dann greift das Klavier die Flötenmelodie auf und stellt ein leidenschaftliches, drängendes Seitenthema dagegen. Die Bewegung steigert sich mehr und mehr, und auf dem Höhepunkt des Satzes spielt das Klavier eine virtuose Solokadenz. Dann treten die Orchesterinstrumente mit dem Hauptthema wieder hinzu und sorgen für Beruhigung. Die Musik wird immer leiser und ruhiger, bis der Satz zuletzt im äußersten Pianissimo verklingt.

Auch der Finalsatz Allegro scherzando beginnt mit einer Modulation, jetzt vom E-Dur des Mittelsatzes zurück nach c-Moll. Sodann führen Klavier und Orchester gemeinsam das rhythmisch-federnde Hauptthema ein. Danach verlangsamt sich das Tempo, und die Oboe stellt gemeinsam mit den Bratschen das lyrisch dahinströmende Seitenthema vor, das seine Verwandtschaft mit dem Seitenthema des Kopfsatzes nicht verleugnet. Nach einer Durchführung, die hauptsächlich auf dem Rhythmus des Hauptthemas basiert, bringt die Reprise erneut beide Themen. Zuletzt führt das Klavier das Seitenthema zu einer triumphalen Schlusssteigerung in C-Dur, und in dieser Tonart geht das Konzert wirkungsvoll zu Ende.

Rachmaninov wusste genau, dass ihm mit diesem Klavierkonzert ein großer Wurf gelungen war. Während er an seinem ersten Konzert immer wieder feilte und verbesserte, steht das zweite von Anfang an geschlossen da. Und der Erfolg gab dem Komponisten Recht. Bis heute bildet das zweite Klavierkonzert zusammen mit dem noch virtuoseren dritten und dem cis-Moll-Prélude die Trias der drei bekanntesten Rachmaninov-Werke, die nicht nur von Fachleuten geschätzt werden, sondern sich auch beim Publikum ungebrochener Beliebtheit erfreuen. Das zweite Rachmaninov-Konzert gehört zu den ganz großen Konzerten der Klavierliteratur. Jeder namhafte Pianist hat es im Repertoire, und jedes Orchester, jeder Dirigent setzt es gerne aufs Programm, garantiert es doch immer ein volles Haus. Die einprägsamen Themen des Konzerts sind immer wieder bearbeitet und neu arrangiert worden, und die Filme, in denen die Melodien des Konzerts erklingen, sind Legion. So hat Rachmaninov mit diesem Konzert ein unstrittiges Meisterwerk geschaffen, das bis heute weit über den Kreis der Musikliebhaber hinaus bekannt und beliebt ist.

Scheherazade op. 35
Nikolai Andrejewitsch Rimski-Korsakov
Scheherazade op. 35
Nikolai Andrejewitsch Rimski-Korsakov

Nikolai Rimski-Korsakov war der mit Abstand professionellste und erfolgreichste Musiker aus der Gruppe der Fünf, auch Mächtiges Häuflein oder Novatoren genannt, einem losen Zusammenschluss von fünf Gleichgesinnten rund um den Pianisten Mili Balakirev (1837-1910). Die Gruppe umfasste - neben Rimski-Korsakov und Balakirev – noch Alexander Borodin (1833-1887), César Cui (1835-1918) und Modest Mussorgski (1839-1881). Was sie einte, war die Begeisterung für eine nationalrussische Musik in der Nachfolge von Michail Glinka. Als sie mit Balakirev zusammentrafen, waren die übrigen vier Amateure: Borodin war Chemiker, Cui Festungsingenieur, Mussorgski Ministerialbeamter und Rimski-Korsakow Seekadett. Balakirev brachte ihnen das notwendige kompositorische Handwerkszeug bei, so dass sie sich bald mit eigenständigen Werken an die Öffentlichkeit wagen konnten. Und gerade Rimski-Korsakov sollte seinen Lehrer bald überflügeln und selbst ein hochprofessioneller Komponist werden, der bereits mit 27 Jahren eine Professur für Komposition am St. Petersburger Konservatorium erhielt und in dieser Position die Ideale der Gruppe der Fünf seinen Schülern vermittelte und ins 20. Jahrhundert trug.

Aber waren es noch die Ideale der Gruppe der Fünf? Gewiss nutzte Rimski-Korsakov seinen Einfluss, um die Werke von Balakirev, Borodin, Cui und Mussorgski an die Öffentlichkeit zu bringen, doch erlaubte er sich regelmäßig erhebliche Eingriffe in die Partitur, die nicht nur die Instrumentation betrafen, sondern auch Melodik, Rhythmik, Harmonik und Großform. So entstanden geglättete, vereinfachte Versionen der Musik der Novatoren, und als Jahrzehnte später die Originalfassungen bekannt wurden, gerieten die Erstausgaben in Misskredit. Doch muss zur Ehrenrettung Rimski-Korsakovs gesagt werden, dass er ehrlich bestrebt war, seinen Mitstreitern einen Dienst zu erweisen. Er glaubte, nur die geglätteten Versionen den ausübenden Musikern, dem Publikum und den Verlegern zumuten zu können. Ob dem so war, oder ob Rimski-Korsakov die Aufnahmebereitschaft seiner Zeitgenossen schlicht unterschätzt hat, wird man nie erfahren.

Im Winter 1887 war Rimski-Korsakov damit befasst, das Opernfragment Fürst Igor des im Vorjahr verstorbenen Alexander Borodin fertigzustellen. Um nicht ständig nur die Musik von Anderen zu editieren, beschloss er, ein eigenes Werk zu komponieren, eines, das im größtmöglichen Gegensatz zu Fürst Igor stand. Statt der Kälte des russischen Winters verlangte es ihn nach Sonne, nach Süden. So kam er auf die Idee, die Märchen aus Tausendundeiner Nacht zur Grundlage seines neuen Werks zu machen.

Die arabischen Geschichten, die unter der Bezeichnung Tausendundeine Nacht bekannt sind, sind in einer Vielzahl von Sammlungen überliefert. Einen wirklichen Urtext, der für alle seriösen Ausgaben verbindlich wäre, gibt es nicht. Die im Westen verbreiteten Fassungen gehen auf den französischen Orientalisten Antoine Galland (1646-1715) zurück, der die bekannten Geschichten von Ali Baba und den vierzig Räubern und von Aladin und der Wunderlampe aus anderen Quellen eingefügt hat. Die russische Ausgabe, die Rimski-Korsakov vorlag, kennt diese Märchen nicht und setzt andere Schwerpunkte. Gemeinsam ist allen Versionen die Rahmengeschichte vom grausamen Sultan, der jeden Tag eine andere Jungfrau heiratet und sie nach der Hochzeitsnacht hinrichten lässt, damit sie ihm nicht untreu werden kann. Auch Scheherazade ist eine solche Eintags-Braut, doch ihr gelingt es, den Sultan mit Fortsetzungsgeschichten zu fesseln, so dass er die Hinrichtung immer wieder aufschiebt und schließlich ganz fallen lässt.

Rimski-Korsakov nannte sein Werk also Scheherazade und gliederte es in vier Sätze. Ursprünglich beabsichtige er, die Sätze nur mit den allgemeinen Bezeichnungen Prélude, Ballade, Adagio und Finale zu versehen, doch nach einer Diskussion mit seinem früheren Schüler und jetzigen Professorenkollegen Anatoli Ljadow entschied er sich dafür, die heute üblichen programmatischen Überschriften einzusetzen, die einerseits unverkennbar auf die Märchen aus Tausendundeiner Nacht Bezug nehmen, andererseits so allgemein gehalten sind, dass man kaum bestimmte Geschichten identifizieren und beim Hören verfolgen kann. Später entfernte der Komponist die programmatischen Titel doch wieder zugunsten der reinen Tempobezeichnungen, doch haben sich die Titel im allgemeinen Bewusstsein gehalten. Ein solches Hin und Her mit und ohne programmatische Überschriften ist typisch für die Musik um 1900, man denke nur an Richard Strauss' Heldenleben und die dritte Symphonie von Gustav Mahler. Rimski-Korsakov schrieb: „Alles, was ich wollte, war, dass der Hörer, sollte ihm mein Stück als symphonische Musik zusagen, den Eindruck mitnehmen solle, es handele sich zweifelsfrei um eine orientalische Erzählung von verschiedenen Märchenwundern, und nicht bloß um vier Stücke, die nacheinander gespielt werden und auf gemeinsamen Themen basieren.

Der erste Satz trägt den Titel Das Meer und Sindbads Schiff. Er beginnt mit einem düsteren Unisono-Motiv der Blechbläser und tiefen Holzbläser, dessen Haupttöne eine absteigende Ganztonleiter markieren. Absteigende Ganztonleitern stehen in der russischen Musik seit Michail Glinkas Ruslan und Ludmila für das Gefährliche, Bedrohliche, und so stellt das Motiv den bösen Sultan dar, der jede Braut nach der Hochzeitsnacht erbarmungslos töten lässt. Ein Violinsolo in Sechzehntel Triolen steht für Scheherazade, die mutige Frau, die mit ihren Erzählungen nicht nur selbst überleben, sondern dem Morden überhaupt ein Ende bereiten will. Nach einer kurzen Kadenz beginnt der Hauptteil. Die gleichmäßige Auf- und Abwärtsbewegung in den Celli symbolisiert die Meereswellen. Doch das Thema darüber, das in vielfältiger Form erscheint und immer neu variiert wird, ist kein anderes als das Thema des Sultans. Musikalisch wird der Sultan also mit Sindbad dem Seefahrer identifiziert; später taucht auch das Scheherazade-Thema auf. Das Sultansthema erklingt in vielfältigen Harmonien und Instrumentierungen, zuletzt sogar als Violinsolo, was doch eigentlich der Scheherazade vorbehalten ist. Dies kann als erster Hinweis darauf verstanden werden, dass der Sultan seine grausame Haltung gegenüber Frauen zumindest überdenkt.

Nun folgt Die Geschichte des Prinzen Kalender. Dabei bezeichnet Kalender nicht den Namen des Prinzen, sondern die Verkleidung, unter der er umherzieht: als ein Qalandar, ein sufischer Bettelmönch. Nach dem Scheherazade-Motiv stellt das Fagott ein neues Thema vor: das Thema des Prinzen. Obwohl es durchgängig im 3/8-Takt notiert ist, wechseln sich in Wahrheit verschiedene Taktarten ab. Auch dieses Thema erscheint in immer neuen Beleuchtungen und Variationen. Im Mittelteil erklingt eine Schlachtmusik: der Kampf, der den Prinzen vertrieben hat, so dass er die Verkleidung anlegen musste? Zuletzt kehrt das Prinzen-Thema wieder und bringt den Satz zum Abschluss. An zwei Stellen klingt in den Bässen das Sultansthema an: kurz vor Beginn der Schlachtmusik und kurz vor dem Satzende.

Der dritte Satz mit dem Titel Der junge Prinz und die junge Prinzessin nimmt gewissermaßen die Funktion des Menuetts in dieser symphonischen Suite ein. Wir hören einen eleganten Walzer, vergleichbar dem Blumenwalzer Tschaikowskis. Im Mittelteil, dem Trio des Satzes, erklingt eine andere Melodie im Dreiertakt; dann kehrt der Walzer in abgewandelter Gestalt wieder. An einer Stelle ist der Walzer unterbrochen, und die Solovioline spielt das Scheherazade-Motiv.

Das Finale ist der komplexeste der vier Sätze. Zunächst hören wir zweimal das rhythmisch leicht abgewandelte, aber unverkennbare Motiv des Sultans, jeweils im Wechsel mit dem Scheherazade-Motiv als Violinsolo. Dann beginnt die Feier in Bagdad, die sich als wüstes Bacchanal herausstellt. Die Flöte stellt in tiefer Lage das Hauptthema vor, das sich durch seinen Wechsel zwischen gis und g auszeichnet. Die übrigen Instrumente greifen das Thema auf und steigern die Intensität immer mehr. Motive aus den vorangegangenen Sätzen klingen an; auch der Walzer aus dem dritten Satz wird aufgegriffen. Doch auf dem Höhepunkt der Feier ändert sich plötzlich die Szenerie. Weit ausladende Wellenfiguren in den Streichern malen Das Meer, und so wie im ersten Satz spielen die Posaunen dazu das Thema des Sultans. Der Sultan ist Sindbad der Seefahrer und kämpft verzweifelt gegen die Naturgewalten an. Doch die Wellen, durch chromatisch auf- und abwärts führende Linien gezeichnet, nehmen überhand, und Das Schiff zerschellt an einer Klippe unter einem bronzenen Reiter, was sich dadurch ausdrückt, dass die Musik auf einem Pianissimo-Akkord zum Stillstand kommt. Dann folgt die ruhige Coda: ein letztes Mal erklingt das Sultansthema, sanft und weich in den Violinen; auch das Thema der Scheherazade gibt es letztmals zu hören. Nicht nur Sindbads Schiff, auch die Grausamkeit des Sultans ist zerschellt, und der furchtbare Mordbefehl an den Ehefrauen ist aufgehoben.

Die Notizen in Rimski-Korsakovs Manuskript zeigen, dass die Partitur zwischen dem 4. Juni und dem 7. August 1888 entstand. Am 28. Oktober des gleichen Jahres fand in St. Petersburg die Uraufführung statt; der Komponist selbst dirigierte. Das Werk hatte sogleich Erfolg, und die Mischung aus eingängigen Themen, farbenfroher Instrumentation und exotischem Flair kam sofort beim Publikum an. Unter den zahllosen Bearbeitungen und Neufassungen, die Scheherazade im Laufe der Zeit über sich ergehen lassen musste, sei die Ballettversion hervorgehoben, die die Ballets Russes 1910 in Paris auf die Bühne brachten - übrigens gegen den energischen Protest der Witwe des Komponisten. Auch heute noch ist Scheherazade - neben dem kurzen Intermezzo Hummelflug - das bekannteste und beliebteste Werk von Nikolai Rimski-Korsakov geblieben, und viele Musikfreunde stellen es auf eine Stufe mit Mussorgskis Bildern einer Ausstellung als besonders gelungene Beispiele für sinfonische Dichtungen in der russischen Musik.

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Konzertflyer

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Besetzung

Dirigent - Fuad Ibrahimov

Violoncello - Katja Deutsch

Klavier - Murat Adigezalzade

Klavier - Jonas Aumiller

Corona-Informationen für Veranstaltungen

Stand: 11/2021

3G+

Zutritt nur für Geimpfte, Genesene oder Getestete mit negativem PCR-Test

FFP2-Masken Pflicht, auch am Sitzplatz

Mit Kontaktdaten registrieren oder Impfnachweis bereithalten

Mindestabstand 1,5m wahren (auch auf Wegen und im Toilettenbereich)

Kontaktbeschränkungen beachten

Nies- und Hustenetikette beachten

Händehygiene einhalten

Bei Krankheitszeichen auf einen Besuch verzichten

Auf Umarmungen und Händeschütteln verzichten

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